Kantine »Festival«

Nachtrag zum Vortrag »Was vom Anarchismus bleibt« – exemplarische Annäherung an das Verhältnis von Theorie und Praxis


Redaktion Tsevyfl

»Tsveyfl« war eine dissensorientierte Zeitschrift, die sich eine kritische Aneignung und Aktualisierung anarchistischer Theorie zur Aufgabe gemacht hat. (1) Auf der Kantine »Sabot« haben zwei Redaktionsmitglieder einen Vortrag gehalten. (2) Im Nachgang zu diesem Vortrag ist außerdem eine Ausgabe der Sendereihe »Wutpilger-Streifzüge« entstanden. (3) In der vierten Ausgabe von »Tsveyfl« zum Thema »Anarchismus und Klasse«, die im Frühjahr 2024 erschienen ist, hat die Zeitschrift ihre Auflösung bekannt gegeben. (4)

Gute Theorie ist Weigerung. Die Weigerung, das Gegebene hinzunehmen, die Weigerung mitzumachen, die Weigerung, zu akzeptieren, dass es immer (so) weiter gehen müsste. Sie besteht darauf, dass es eine Perspektive auf das Gegebene gibt, die es in Frage stellt, ohne es zu leugnen. So wie die effektive Sabotage der Maschinen die Anerkennung ihrer Funktionen und Zwecke zur Voraussetzung hat, hat relevante Kritik zur Voraussetzung, ihren Gegenstand mit seinen Funktionen und Zwecken anzuerkennen. Dabei ist Anerkennung mehr als bloße Kenntnisnahme oder Toleranz der Existenz. Sie kann ihrem Gegenstand gegenüber vieles sein: zustimmend, ambivalent, kritisch, ablehnend, aber nicht gleichgültig. Sie kann der Realität ihres Gegenstandes noch so feindlich gegenüberstehen, der Anspruch zur Veränderung ergibt sich überhaupt erst aus der Einsicht, dass etwas der Fall ist – und gerade deswegen verändert werden muss, und nicht ignoriert oder außer Acht gelassen werden kann.

Deswegen greift Engels Hegel auf und spricht von der Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit: nur das Wissen über die Bedingungen des eigenen Denkens ermöglicht es, dass dieses in das Gegebene gestaltend eingreifen kann – gemäß der diesem eigenen Gesetzmäßigkeiten und nicht diese vernachlässigend. Wo immer Theorie behauptet, frei von ihren eigenen materiellen Bedingungen zu sein oder sich von diesen frei machen zu können, kann das nur heißen, dass sie diese als implizite Voraussetzungen bestehen lässt, sich also mit diesen längst abgefunden hat. Dass die Kritikerin genau wie alle anderen zutiefst verflochten ist mit dem Gegebenen, muss der Ausgangspunkt jeder Kritik sein und nicht ihr dunkler Fleck. Aber es ist auch nicht mehr als ihr Ausgangspunkt: der Versuch, diese Verflechtung durch die richtige Reflektion ungeschehen zu machen, verheddert sich weiter im Gegebenen, weist keinen Ausweg und bleibt leere Theorie ohne Bestimmung.

Diese Bestimmung kann nur aus der praktischen Erfahrung stammen: sie ist und gibt Anlass zur stetigen Entwicklung einer Theorie, deren Ausrichtung sich an dieser orientiert und dadurch die eigenen Grenzen überschreiten kann.

Gute Praxis ist Weigerung. Die Weigerung, das Gegebene hinzunehmen, die Weigerung mitzumachen, die Weigerung, zu akzeptieren, dass es immer (so) weiter gehen müsste. Sie besteht darauf, dass es eine Perspektive auf das Gegebene gibt, die es in Frage stellt, ohne es zu leugnen. So wie die effektive Sabotage der Maschinen die Anerkennung ihrer Funktionen und Zwecke zur Voraussetzung hat, hat relevante Praxis zur Voraussetzung, ihren Gegenstand mit seinen Funktionen und Zwecken anzuerkennen. Dabei ist Anerkennung mehr als bloße Kenntnisnahme oder Toleranz der Existenz. Sie kann ihrem Gegenstand gegenüber vieles sein: zustimmend, ambivalent, kritisch, ablehnend, aber nicht gleichgültig. Sie kann der Realität ihres Gegenstandes noch so feindlich gegenüberstehen, der Anspruch zur Veränderung ergibt sich überhaupt erst aus der Einsicht, dass etwas der Fall ist – und gerade deswegen verändert werden muss, und nicht ignoriert oder außer Acht gelassen werden kann.

Deswegen greift Engels Hegel auf und spricht von der Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit: nur das Wissen über die Bedingungen des eigenen Handelns ermöglicht es, dass dieses in das Gegebene gestaltend eingreifen kann – gemäß der diesem eigenen Gesetzmäßigkeiten und nicht diese vernachlässigend. Wo immer Praxis behauptet frei von ihren eigenen materiellen Bedingungen zu sein oder sich von diesen frei machen zu können, kann das nur heißen, dass sie diese als implizite Voraussetzungen bestehen lässt, sich also mit diesen längst abgefunden hat. Dass die Aktivistin genau wie alle anderen zutiefst verflochten ist mit dem Gegebenen, muss der Ausgangspunkt jeder Praxis sein und nicht ihr dunkler Fleck. Aber es ist auch nicht mehr, als ihr Ausgangspunkt: der Versuch diese Verflechtung durch die richtige Praxis ungeschehen zu machen, verheddert sich weiter im Gegebenen, weist keinen Ausweg und bleibt blinde Praxis ohne Bestimmung.

Diese Bestimmung kann nur aus der theoretischen Erkenntnis stammen: sie ist und gibt Anlass zur stetigen Entwicklung einer Praxis, deren Ausrichtung sich an dieser orientiert und dadurch die eigenen Grenzen überschreiten kann.

Theorie und Praxis informieren einander übereinander und in der Reflexion auf die jeweils andere auch über sich selbst. Sie bedingen einander, formen gemeinsam ein Verständnis ihrer Voraussetzungen und Ziele, praktisch und theoretisch erlangte Erkenntnisse greifen ineinander, weisen einander auf Leerstellen und nötige Klärungen hin und geben Anlass zur stetigen Entwicklung.

Das schließt nicht aus, dass es schlechte Theorie und schlechte Praxis gibt – aber überlassen wir die doch anderen.

Weiterführende Links

(1) https://tsveyfl.de/zweifel

(2) https://kantine-festival.org/mediathek/2024-03-12-was-vom-anarchismus-bleibt/

(3) https://wutpilger.org/09-2023-tsveyfl/

(4) https://tsveyfl.de/tsveyfl4